Schoberstraße

Als auf die Folge nach den Todesschüssen von Schattendorf und den Freisprüchen durch ein Geschworenengericht am 15. Juli 1927 zu Demonstrationen und zum Brand des Justizpalastes führten, gab der damalige Polizeipräsident und spätere Bundeskanzler Johann Schober den Polizeieinheiten den Befehl, mit allen Mitteln der Feuerwehr Zugang zum Justizpalast zu verschaffen. Dabei legitimierte er sie auch zum Gebrauch der Schusswaffe. Die Folge waren 94 Tote und hunderte Verletzte.

Daraufhin affichierte Karl Kraus im September drei Tage lang Plakate in Wien, mit denen er Schober aufforderte abzutreten. Elias Canetti merkte dazu in Die Fackel im Ohr – Lebensgeschichte 1921-1931 an:

 

„In den Tagen und Wochen tiefster Niedergeschlagenheit unmittelbar danach, als man nichts anderes denken konnte und die Ergebnisse, deren Zeuge man gewesen war, sich immer wieder vor einem abspielten – sie verfolgten einen Nacht für Nacht bis in den Schlaf –, gab es noch einen legitimen Zusammenhang mit der Literatur, und das war Karl Kraus. Ich wüßte nicht, wem ich je für etwas dankbarer gewesen wäre. Er tat es allein, er war die einzige öffentliche Figur, die es tat, und während die übrigen Berühmtheiten, an denen es in Wien nie mangelte, sich nicht exponieren oder vielleicht auch nicht lächerlich machen wollten, fand er allein den Mut zu seiner Empörung. Seine Plakate waren das einzige, was einen in diesen Tagen aufrechterhielt. Ich ging von einem zum anderen, blieb vor jedem stehen, und es war mir, als sei alle Gerechtigkeit dieser Erde in die Buchstaben seines Namens eingegangen.“[1]

 

Schober setzte seine Kariere fort. Bis heute ist im 13. Wiener Gemeindebezirk in der dortigen ehemaligen Polizeisiedlung die Dr.-Schober-Straße nach ihm benannt.[2]



[1] Elias Canetti, Die Fackel im Ohr – Lebensgeschichte 1921-1931, München/Wien 1993, S. 231f.
[2] Peter Autengruber, Birgit Nemec, Oliver Radhkolb, Florian Wenninger (Hg.), Umstrittene Straßennamen in Wien, Wien 2014, S.144f.; http://www.wien.gv.at/kultur/abteilung/pdf/strassennamenbericht.pdf