Josef Ahrer Die ökonomischen Bedingungen der Menschen in der oberösterreichischen Stadt Steyr verschlechterten sich dramatisch. 1000 arbeitende Menschen stehen 3000 Registrierten ohne Arbeit gegenüber.[1] Nachdem bei einer Sitzung in Linz der Steyrer Bürgermeister Sichelrad, der Landesabgeordnete Schrangl, der Kommandant des bereits illegalen Schutzbundes Mayrhofer und der Betriebsobmann der Steyr-Werke Moser ihre Zustimmung zum Aufstand geben, sollte die Linzer Parteizentrale von der Heimwehr durchsucht werden, kommt es am 12. Februar zu einer Betriebsstilllegung der Steyr-Werke. Die Kämpfe dauern bis zum kommenden Tag. Nach dem Josef Ahrer wird gefahndet. Der 26-jährige, arbeitslosen Schlosser wird beschuldigt, den Schutzbündler Johann Zehetner und dessen Freundin Josefine Nagelseder ermordet zu haben. Er soll vors Standgericht gebracht werden. Das Standrecht ist ein außerordentliches strafrechtliches Verfahren, das binnen drei Tagen durchgeführt werden muss und gegen dessen Spruch keine Rechtsmittel eingebracht werden können. Die Richter haben über den Tod durch den Strang zu entscheiden, oder können den Fall an ein ordentliches Gericht weiterleiten. Die Ausrichtung der Strafe am Ausmaß des Verschuldens tritt hier hinter die Generalprävention zurück, die individuelle Gerechtigkeit wird zugunsten der Nützlichkeit für den Staat hintangestellt.[2] Das Standrecht setzt sich gemäß der Strafprozessordnung von 1873 zusammen und wird am 10. November 1933 für Mord, Brandlegung und der öffentlichen Gewalttätigkeit durch boshafte Beschädigung fremden Eigentums[3] wieder eingeführt. Der Senat besteht ursprünglich aus vier Berufungsrichtern der Landes- oder Kreisgerichte, wird aber 1933 zum Teil durch einen fliegenden Senat des Landesgerichts für Strafsachen Wien I ersetzt. Dies ist neben der faktischen Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs[4] einer der gezielten Schritte zur Aushebelung einer unabhängigen Justiz, da die Regierung so eine Möglichkeit zur Beeinflussung der Auswahl der Richter hat.[5] Ebenso wird die Unabsetz- und Unversetzbarkeit der Richter suspendiert.[6] Das Urteil hat binnen zwei Stunden nach der Urteilsverkündung vollstreckt zu werden. Eine dritte Stunde kann Aufschub gewährt werden, in der die Einreichung eines Gnadengesuchs möglich ist. Eine Begnadigung ist lediglich durch den Bundespräsidenten möglich, der aber vom Justizminister dafür beauftragt werden muss. Dieser Antrag beinhaltet jedoch keine aufschiebende Wirkung der Vollstreckung. Eine Ausweitung des Standrechts erfolgt durch eine neuerliche Notverordnung am 12. Februar 1934. Nach § 73 StG und § 442 St.P.O. wird nun auch „Aufruhr“ mit dem Tod bestraft. Am am 17. Februar wird Josef Ahrer wegen Anschuldigung zur Aufruhr und des Mordes vor das Standgericht[7] gestellt. Brigitte Kepplinger schildert die Geschehnisse folgendermaßen: „Ahrer lebte in Steyr in einer Baracke in der Kammermayerstraße 10, in der auch einige Angehörige der Heimwehr wohnten. Nach Ausbruch des Generalstreiks kam es zum Streit von Ahrer und einigen der dort lebenden Heimwehrlern. Die Mutter des Ermordeten gab zu Protokoll, dass ihr die Nachbarin Josefine Raab erzählt hätte, gesehen zu haben, dass Josef Ahrer mit einem Revolver auf die beiden geschossen habe. Ebenso nannte sie den Ehemann der Nachbarin sowie deren Mutter Theresia Löschenkohl und die Brüder Laurenz und Amon Löschenkohl als Zeugen. Diese Zeugen machten widersprüchliche Angaben zum Ablauf des Mordes.“[8] Alle Zeugen sind aus Familien, die der Heimwehr nahestehen. Josef Ahrer ist Mitglied der SDAP, hat Schlosser gelernt, ist arbeitslos und vorbestraft. Ahrer gibt zum Vorwurf des Mordes an, am 12. Februar zur besagten Zeit Schüsse auf dem Gang gehört zu haben. Dort seien zwei Burschen in eine Rauferei verwickelt gewesen. Er habe zwei ungezielte Schüsse abgefeuert. Die Schüsse auf Zehetner und Nagelseder habe hingegen der Schutzbündler Hilber mit einem Gewehr abgegeben. Hilber verstirbt später als MG-Schütze im Kampf um die Ennsleite. Er nennt zwei Zeugen, die dies bestätigen könnten. Die Einvernahme der Zeugen wird bewilligt. Jedoch nicht die Erstellung eines Gutachtens, ob die tödlichen Schüsse von einem Gewehr oder einer Pistole stammen. Der Amtsarzt gibt an, dies nicht mit Sicherheit sagen zu können.[9] Der von Ahrers Anwalt angeführte Zeuge Alois Steindl widerspricht den Angaben der anderen Zeugen. Der zweitgenannte Zeuge der Verteidigung kann nicht ausfindig gemacht werden. Eine beantragte Vertagung, um diesen Zeugen noch anhören zu können, wird abgelehnt. Das Standgericht unter dem Vorsitzenden Ernst Ganzwohl verurteilt Josef Ahrer zum Tod durch den Strang sowie zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens. Nachdem das Gnadengesuch abgelehnt wird, kommt es um 23 Uhr 28 zur Urteilsvollstreckung im Gefangenenhaus Steyr bei Schloss Lamberg. [1] Brigitte Kepplinger, Linz und Steyr: Zentrum der Kämpfe, in: Es wird nicht mehr verhandelt – Februar 1934 in Oberösterreich, S. 153-197 [2] Martin Polaschek, In den Mühlen der Justiz. Der Standgerichtsprozess gegen Peter Strauss und die Wiedereinführung der Todesstrafe 1933, in: Michele Luminati, Ulrich Falk u. Mathias Schmoeckel (Hg.), Mit den Augen der Rechtsgeschichte: Rechtsfälle – selbstkritisch kommentiert, S.404; Fritz Byloff, Zur Psychologie des Standrechts, Monatszeitschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 12 (1921/22), 79 [3] BGBl Nr. 505/1933 [4] Siehe: Emmerich Tálos, Das austrofaschistische Herrschaftssystem – Österreich 1933-1938, Wien 2013, S.275, Fußnote 36 [5] Siehe: Wolfgang Neugebauer, Richterliche Unabhängigkeit 1934-1945 unter Berücksichtigung der Standgerichte und der Militärgerichte, in: Justiz und Zeitgeschichte, Wien 1995, S.114-138; Emmerich Tálos, Das austrofaschistische Herrschaftssystem – Österreich 1933-1938, Wien 2013, S. 275-278 [6] BGBl Nr. 75/1934-II, zuletzt: BGBl Nr. 457/1937 [7] Siehe dazu: Martin Polaschek, Die Rechtsgrundlage, in: Werner Anzengruber, Martin Polaschek, Der Februar 1934 und die Justiz, Graz 2004, S. 196-201 [8] Brigitte Kepplinger, Linz und Steyr – Zentren der Kämpfe, in: Brigitte Kepplinger (Hg.), Februar 1934 in Oberösterreich, 153-197 [9] DÖW 21.206/1, DÖW 7167 |
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